Skip to main content
barbara_voelkel_zdf2

Ein Drama um Gerechtigkeit, Rache und Selbstjustiz

Das Grauen über Grenzen hinweg

Die Tötung der erst 14jährigen Französin, Kalinka Bamberski, durch ihren deutschen Stiefvater, wurde zum spektakulärsten Kriminalfall der letzten 50 Jahre zwischen Deutschland und Frankreich. Ich begleitete als Investigativ-Redakteurin den leiblichen Vater des getöteten Mädchens, Andre Bamberski, fast 25 Jahre lang auf der Suche nach Gerechtigkeit.

 

„Ich habe am Grab meiner Tochter geschworen, ich gebe erst auf, wenn dem Mörder der Prozess gemacht wird und er für die abscheuliche Tat, die er an meiner Tochter begangen hat, ins Gefängnis kommt,“ erzählte mir , Andre Bamberski, der leibliche Vater des getöteten Mädchens, Kalinka, anfang 1997, in einem FRONTAL-Interview auf dem Friedhof in Pechbusque, Südfrankreich.

Der damals 59jährige Buchhalter hatte zu dem Zeitpunkt seinen Beruf aufgegeben, um sich ganz der Aufklärung des Falles zu widmen.

In Deutschland kommt der Fall nie zur Anklage.

Ich wurde Ende der 90iger Jahre auf den Fall Kalinka Bamberski auf der Zugrückfahrt einer Drehreise aus Süddeutschland für das ZDF- Politmagazin FRONTAL aufmerksam. Ein kleiner Zeitungs-Artikel in der Schwäbischen Zeitung die auf dem Tisch im Zugabteil lag, berichtete über einen Arzt, Dr. Dieter Krombach, der bereits in Frankreich in Abwesenheit für die Tötung seiner französischen Stieftochter Kalinka 1995 verurteilt worden war. In Deutschland jedoch dafür straffrei ausging. 1997, zwei Jahre nach diesem Urteil in Frankreich, mißbrauchte dieser Arzt ein erst 16jähriges Mädchen in seiner Lindauer Praxis.

Das Urteil gegen ihn lautete zwei Jahre auf Bewährung und Berufsverbot. Das löste Protestwellen am Bodensee aus. Der Fall Kalinka von 1982 und weitere seiner Straftaten waren weder bundesweit, noch im Ausland in der Presse bekannt. Ich stellte den Fall Kalinka und den jüngsten sexuellen Mißbrauch dieses Arztes meinen damaligen Vorgesetzten, Bodo H. Hauser und Ulrich Kienzle vor. Denn zu dem Zeitpunkt tobte im Bundestag eine heftige Auseinandersetzung über die Verschärfung des Sexualstrafrechts. Dafür suchten wir als Politmagazin zielführende Fallbeispiele.

Der Fall sollte mich als investigativ Journalistin ein vierteljahrhundert in Atem halten.

Im Juli 1982 besuchte Kalinka ihre Mutter und ihren Stiefvater, den Kardiologen, Dr. Dieter Krombach, in Lindau am Bodensee. Kalinkas Eltern waren geschieden. Der 14jährigen wurden am Abend vor ihrem Tod, ein Eisenpräparat und Beruhigungsmittel von ihrem Stiefvater, injiziert, obwohl Kalinka, wie Experten später feststellten, kerngesund war. Am nächsten Morgen lag sie tot im Bett. Erstickt an ihrem Erbrochenem.

Es kommt zu folgenschweren Pannen bei den polizeilichen Ermittlungen und der Autopsie in Deutschland.

Es werden keine Spuren am Tatort in Lindau sichergestellt, etwa die Flecken auf der Bettwäsche. Bei der Obduktion wurden ein blutiger Riss im Vaginalbereich des Mädchens entdeckt und weißliche Flüssigkeit. Doch der damalige Rechtsmediziner in Memmingen, untersuchte weder diese Spuren auf Sperma, noch Kalinkas Herzblut auf ein mögliches Gift. Andre Bamberski schöpfte Verdacht. Glaubte an ein Sexualdelikt und erwirkt 1985, drei Jahre nach Kalinkas Tod, eine Exhumierung in Frankreich, wo Kalinka begraben liegt. Doch im Grab finden sich ihre entnommenen Genitalien nicht mehr. Einfach verschwunden. Nicht beigelegt von den deutschen Rechtsmedizinern. Es stellt sich bei meinen Recherchen heraus, dass auch Kalinkas Stiefvater, Dr. Dieter Krombach bei der Autopsie anwesend war, obwohl das nicht erlaubt war.

Frankreich fordert die Auslieferung von Krombach.

Kalinka war französische Staatsbürgerin. Andre Bamberski brachte den Fall in Frankreich vor Gericht. Hier wurde Dieter Krombach, 1995, in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt, wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge ohne Tötungsabsicht. Der Cour d`Appell in Paris sah es durch zahlreiche Gutachten namhafter Experten als erwiesen an, dass die Injektionen – das Eisenpräparat, Kobalt-Ferrlezit in Zusammenhang mit dem starken Beruhigungsmittel Frisium für den Tod des Mädchens verantwortlich war. Einen sexuellen Mißbrauch Kalinkas war Krombach mangels Beweisen nicht nachzuweisen. Die zuständige Staatsanwaltschaft Kempten jedenfalls behauptete, auch später im Interview: „Wir haben die Todesursache des Mädchens nicht herausgefunden, das OLG München hat den Fall Kalinka 1987 zu den Akten gelegt. Meine Nachfragen, warum man der Beweisführung der Franzosen nicht gefolgt sei, wich man aus. Wollte anschließend keine weiteren Interviews mehr geben.

Der Fall Kalinka wurde zum Politikum.

Es entbrannte ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen Deutschland und Frankreich. Deutschland weigerte sich, Krombach auszuliefern, schließlich war das deutsche Ermittlungsverfahren im gleichen Fall gegen den Arzt eingestellt worden. Immer wieder war der Fall ein Gesprächsthema in der Zeit von 1995 und 2009 bei Treffen zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und Staatspräsident Jacques Chirac, später zwischen Nicolas Sarkozy und Angela Merkel.

Diesmal gehen keine Beweise verloren.

Immer mehr Details über den Lebensstil des Dr. Dieter Krombach erfuhr ich bei meinen jahrelangen Recherchen. Es gab viele Anzeigen gegen ihn, wegen sexueller Belästigungen von Patientinnen, besonders minderjährigen Mädchen. Meist kamen die Anzeigen zu spät, waren verjährt. Aus Scham und Angst nicht ernst genommen zu werden, so erzählten es mir die Opfer Krombachs. Als Krombach eine 16jährige Patientin in seiner Praxis mißbraucht, gingen diesmal keine Beweise verloren. Krombach wurde auf Bewährung verurteilt. Verlor seine Approbation als Arzt. Das Opfer erlebte den sexuellen Mißbrauch, konnte sich durch eine Betäubungsspritze aber nicht wehren. In einem einmaligen Fernsehinterview erzählte sie mir über das Erlebte und die schweren psychischen Folgen.

Der Täter gibt einmalig ein Fernsehinterview.

Unter Auflagen fand das exklusive Interview 1997 mit dem Täter, Dr. Dieter Krombach im Beisein seines Anwalts, Dr. Uwe Birk, in Lindau, am Bodensee statt. Ich erwartete einen Arzt, einen Täter, der Reue für seine Tat zeigt. Doch stattdessen verhöhnte er das Opfer, vor laufender Kamera, dass er kurz vor seiner Tat betäubt hatte, lächelnd mit den Worten: „Sie hat nicht ja gesagt, sie hat nicht nein gesagt. Wer schweigt scheint zuzustimmen, hat man schon im alten Rom gesagt.“ Krombach hat nie wieder ein Interview gegeben, lebte weiter in Freiheit in Deutschland.

Das Urteil im Fall Kalinka drohte 2012 in Frankreich zu verjähren.

Der leibliche Vater Kalinkas, Andre Bamberski sah keinen anderen Ausweg mehr, als den Mörder seiner Tochter Kalinka nach Frankreich zu entführen. Alle Rechtsmittel waren seiner Meinung nach ausgeschöpft. Das Urteil in Frankreich drohte zu verjähren. Schließlich wurde Dieter Krombach im Oktober 2009 vor seinem Haus im Landkreis Lindau von Bamberskis Helfern abgepasst, zusammengeschlagen, gefesselt und geknebelt nach Mühlhausen/ Frankreich entführt.

Tochter des Täters beteuert die Unschuld des Vaters.

Ich reiste an den Ort der Entführung. Krombachs Tochter, Diana Günther gab mir exklusiv ein Interview vor Ort, beteuerte immer wieder die Unschuld ihres Vaters am Tod Kalinkas. Über den qualvollen Tod ihrer Mutter wollte sie nicht sprechen. Sie starb mit 25 Jahren taub, stumm und blind. Von Gift war die Rede. Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt ermittelte gegen ihren Vater, Dieter Krombach. Aus Mangel an Beweisen wurde das Verfahren eingestellt.

Kalinkas Vater, Andre Bamberski am Ziel.

Ich reiste zu Prozeßbeginn 2010 nach Frankreich. Doch zweimal wird der Prozeß vertagt. Schließlich konnte ich darüber berichten, in verschiedenen ZDF-Formaten, wie unbeeindruckt der Täter blieb, wenn seine Opfer von den Übergriffen erzählten. Nur wenige Pressevertreter waren im Gericht zugelassen. Krombach schaute nur einmal herüber, ein kurzer Augenkontakt, dann senkte er den Blick wieder auf der Anklagebank. 2011 wurde er zu 15 Jahren Haft verurteilt, und zeigte bis zum Schluss keine Reue. 2014 wurde der leibliche Vater, Kalinkas, Andre Bamberski für seine Selbstjustiz, Anstiftung zur Entführung, zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Andre Bamberski ist mit sich längst im Frieden, als ich ihn vor wenigen Wochen kontaktierte. Er hat sein Ziel erreicht. Die Verurteilung von Kalinkas Mörder liegt jetzt zehn Jahre zurück.
Andre Bamberskis Vaterliebe bleibt unbesiegbar.